netz-polemik #3 eines vorab: ein '1984' oder auch 'fahrenheit 451' unserer zeit ist dave eggers 'the circle' nicht. dafuer ist das buch zu geschwaetzig geschrieben, zu repetetiv und fuer einen roman oft auch zu thesenhaft. dabei zielt 'the circle' durchaus in die richtung einer orwellschen anti-utopie: die gleichnamige firma ist ein super-amalgam aus facebook/google/paypal und entwickelt im laufe des buchs immer staerker totalitaere zuege. der titelgebende kreis steht vor seiner komplettierung, wenn am ende des romans selbst regierungen damit liebaeugeln, wahlen und andere staatliche aufgaben kuenftig mithilfe von obligatorischen mitglieds-accounts fuer alle buerger an the circle zu delegieren. eggers bleibt allerdings zu nahe an den details und entwicklungslinien der gegenwart, um eine dystopie mit dem allgemeingueltigkeitsgrad von '1984' zu entwickeln.

dennoch liegt in der zeitgeistigkeit von 'the circle' auch eine der staerken des buchs: fast alles, was eggers in seinem roman an social-media-hyperaktivitaet, digitaler fortschrittsglaeubigkeit und privatsphaerenvernichtendem transparenzwahn entwirft, ist heute bereits in grundzuegen angelegt - und trifft als gegenwartskritik deshalb umso genauer. fuer jemanden, der beruflich im techjournalismus gelandet ist und auch privat primaer die moeglichkeiten der webtechnologien sieht, ist 'the circle' deshalb als gewissensprobe hochwillkommen. und wenn man das buch zufaellig zeitgleich zur multimilliarden-uebernahme von whatsapp durch facebook liest, bekommt der inhalt noch einmal eine zusaetzliche bedeutung.

doch was ist die konsequenz? wie eduard kaeser diese tage in einem lesenswerten beitrag fuer die nzz schreibt, ist ja auch die bereits mode gewordene internet-enthaltsamkeit eine hoechst ambivalente sache. eine schluesselrolle fuer die vernuenftige webnutzung spielt fuer kaeser das 'unterscheidungsvermoegen':
'Es gilt entscheiden zu lernen, wann ich das Gerät gebrauchen will und wann nicht; wann ich ihm trauen soll und wann nicht. (...) «Augmented reality» ist ein Euphemismus für das Suchtpotenzial all der schönen smarten Dinge, die optimiert werden, uns zu sagen, was wir tun und lassen sollen. Dahinter stecken natürlich die Entwickler. Höchste Zeit, deren Menschenbild zu durchleuchten, das sie in ihre Gadgets zum alleinigen Zweck der Wertschöpfung verpacken. Zu vermuten steht, dass der eigenständige, der «echt» unterscheidungsfähige Mensch darin kaum noch Platz findet.'
damit waeren wir wieder bei jonathan franzen, der in seinem 'kraus project' unterscheidet zwischen den menschen, die sich zweckgesteuert der digitalen technik bedienen, und denen, die schon laengst zu dienern einer zum selbstzweck gewordenen technik mutiert sind. und das ist auch das persoenliche lernpotenzial meiner netzkritischen lektuere: bewusster nutzen, weniger nutzen und vorsichtiger nutzen.